Ein weiterer Traum geht in Erfüllung: das patagonische Inlandseis sehen. Es ist mit 370 km Länge die größte Eisfläche auf dem südamerikanischen Kontinent und nach der Antarktis und Grönland die drittgrößte unserer Erde. Über 48 Hauptgletscher und über weitere 100 Nebengletscher fließt das Eis ins Tal. An der dicksten Stelle misst es 35 km.
Um diesen einzigartigen Blick auf einen winzigen Teil dieser Eisfläche zu erlangen, muss man zunächst über den Paso del Viento von El Chaltén aus wandern. Am Tag 2 von 4 des Huemul Trek hat man mit etwas Wetterglück dann freie Sicht auf das Hielo Continental Sur und so möchte ich gern diesen Trek laufen.
Mutter Natur hat es erneut in einem 4-tägigen Wetterfenster um El Chaltén gut mit uns gemeint und auf dem Paso del Viento (dem Pass des Windes) keinen Wind geschickt. Der Blick von hier in die Weite über das unwirkliche Eis in das „Wohnzimmer der Schneekönigen“ ist einzigartig und berührt die Seele. Der Trek hat einiges abverlangt. Eisige Flussdurchwatungen, Sturmböen am zweiten Pass, Geröllhänge und abenteuerliche Abstiege. Umso mehr freue ich mich, diesen Blick mit euch teilen zu können.
1. Tag El Chaltén – Camp Laguna Toro, 16 km, +700 Hm/-450 Hm
Mit einem vollen Rucksack für 4 Tage Trekking beginnt die Tour sehr gemächlich am Nationalparkhaus von El Chaltén. Hier müssen sich alle Wanderer registrieren und die für den Trek erforderliche Ausrüstung (Klettergurt, Schlinge und Karabiner für die Tirolesa sowie Karte) vorzeigen ohne zu Ahnen, dass diese Ausrüstung niemals zum Einsatz kommen sollte. Ein 5- minütiges Video gibt Informationen zum Trek. Auf jeder zweiten Seite steht: Warning! Gewarnt wird vor Gletscherflüssen, Gletschern generell, unvorhersehbaren Winden, Mäusen… Langsam vergeht mir die Lust und ich frage mich, ob das wirklich so eine gute Idee war. Draußen weht ein starker Wind und gibt den Blick auf die Granittürme von Fitz Roy und seinen Trabanten frei. Los gehts. Nach 5 Stunden im gemütlichen Auf und Ab, über Wiesen und durch Südbuchenwälder erreicht man das Camp an der Laguna Toro. Im Schutz der Bäume stehen bereits zahlreiche Zelte. Schnell wird die Beliebtheit des Treks erkennbar. Ich komme auf ca. 30. Ärgerlicherweise ist am Vortag meine neue Isomatte kaputt gegangen. Ausgerechnet auf dem Weg Richtung Inlandseis. Und so Rolle ich meine nun ganz neu erstandene und sperrige Schaumstoffmatte aus El Chaltén aus. Das Zelt hält den bisherigen Stürmen tapfer Stand, obwohl das Gestänge bei jeder Böe mächtig eingedrückt wird.


2. Tag Zum Refugio Paso del Viento, 13 km, + 800 Hm/-520 Hm
Bereits im Morgengrauen beginnen die ersten ihre Zelte abzubauen. Diese „Early Birds“, denke ich bei mir, wollen sich doch bestimmt nur den nächsten guten Stellplatz ergattern.
Bei bestem Sonnenschein und nach einem guten Frühstück geht es zum ersten Hindernis. Eine große Schlange wartet darauf, bei der Tirolesa (Seilbrücke) an die Reihe zu kommen. An der tiefsten Stelle über den Fluss gespannt, sieht die Konstruktion eher gefährlich als hilfreich aus. Wanderer stehen Schlange. Das dauert zu lang. Und so überqueren wir in einer kleinen Gruppe kurzerhand den eisigen! Gletscherfluss. Gegenseitiges Anfeuern geben uns Mut herzhaft in das knietiefe Wasser zu steigen und zielstrebig auf die andere Flussseite zu waten. Die verzogenen Grimassen machen klar, wie kalt das Wasser sein muss. Die erste Hürde ist Geschafft. Danach folgt ein steiler Anstieg über Geröllfelder. Der Weg verliert sich. Zahlreiche Steinmännchen markieren die grobe Richtung. Wir kommen zum gewaltigen Tunel-Gletscher, an dessen linker Seite wir uns einen Weg durch Schutt und über den Gletscherrand suchen müssen. Sofort hat man das Gefühl, in einem Kühlschrank zu stehen. Rinnsale unter den Füßen am Rande des Geltschers lösen ein unbehagliches Gefühl in mir aus. Plötzlich habe ich das Bedürfnis schneller zu gehen und Hefte mich an die Füße meines Vordermannes. Das Gewicht meines Rucksacks spüre ich in diesem Moment kaum mehr. Ich will nur schnell am Gletscher vorbei und weiter den Geröllhang hinauf. Oben hat man eine erstklassige Aussicht über die Berge und den bereits zurückgelegten Weg. Teepause.

Blick auf den Gletscher Rio Túnel (2.Tag)
Der weitere Anstieg zieht sich. Die Sonne strahlt und kaum ein Lüftchen weht, als wir uns dem Paso del Viento (Pass des Windes) nähern. Und dann endlich dieser Blick, eine ergreifende Weite und Stille über einem Meer aus Eis und Schnee.



Nach 2 weiteren Stunden kommen wir am Refugio Paso del Viento an. Die besten (windgesicherten) Zeltplätze sind durch die Early Birds belegt. Da an diesem Tag kaum Wind weht, sind die übrigen Stellplätze auf der Wiese mit Blick über den See herrlich. Dänen sind heute die gesprächigen und witzigen Nachbarn.
Der Hunger der Mäuse im Camp, so steht es im Wanderführer, soll hier legendär sein. Emsige Wanderer binden ihre Nahrung deshalb an Felsen fest. Ich habe das Bedürfnis den Sack mit Essen abzuhängen und ein Schild „Danke, die Mäuse“, anzubringen. Ich sichere meine Nahrung im Zelt und hoffe, dass sich die kleinen Nager eines der anderen 29 Zelte aussuchen.
3. Tag Paso del Viento – Bahia Cabo de Hornos, 21 km, +430 Hm/ -1100 Hm
Die dänischen Nachbarn halten seit früh um sieben munteren und lauten Kaffeeklatsch. Die ersten Early Birds sind bereits auf dem Weg. Gegen halb zehn sind auch wir dann fertig zum Gehen, die Dänen auch. Der heutige Tag soll der anspruchsvollste sein. 18 Kilometer und ein unangenehmer Abstieg heißt es. Mehr wird im Trekkingführer nicht erwähnt. Auch heute scheint die Sonne. Im gemütlichen Auf und Ab geht es am Inlandseis entlang. Über schmale Bäche, grüne Wiesen und Felsblöcke schlängelt sich der Weg. Auf dem Weg zum Paso Huemul wird es steiler und ein schmaler Pfad führt am steilen Abhang entlang. Plötzlich, wie aus dem Nichts, kommt der berühmte patagonische Wind vom Eis. Heftige Böen schieben einen nach vorn und den Geröllhang hinauf. Ich fange an über den Pass bergauf zu rennen und rette mich auf die Windstille Seite über den Kamm. Das war ein Abschied mit Pauken und Trompeten. Ein letzter Blick über das Eis und schnell den Hang auf der anderen Seite hinab. Und schon stehen wir vor der nächsten Herausforderung. Ein steiler! Abstieg durch kleine Südbuchenwälder über sandig, steinige Hänge. Oftmals müssen wir über Südbuchen klettern oder sogar am Felsen abklettern. Das also soll Wandern sein… Ein fixes Seil mit Schlaufen als Hilfe hat bereits die besten Jahre hinter sich und knarzt bei jedem Griff gefährlich laut.

Das wurde vorher im Video der Nationalparkbehörde nicht erwähnt. Langsam Versagen die Knie bei mehr als 1000 m Abstieg. Dafür wird man mit einem Blick über den türkisblauen Viedma- See und den zweitgrößten kalbenden Viedma-Gletscher belohnt. Endlich. Nach weiteren 2 h Abstieg sind die ersten Zelte in Sicht. Am Camp im Wald angekommen mit Blick auf riesige schwimmende Eisbrocken im See, ist das Camp bereits voll. Die Early Birds haben alles belegt. Wir „späten“ Wanderer müssen weiter zum nächsten in einer Stunde entfernten Camp.
Abends 22 Uhr treffen die letzen müden Wanderer ein. Das war der heftigste Tag von allen, denke ich mir und nicht wissend, dass der 4. Tag noch anstrengender und länger werden würde.


4. Tag Bis nach El Chaltén, ca. 20 km, gefühlt ewig und mehr als +/- 450 Hm
Windböen rütteln am Zelt. Zeit zum Gehen. Am See entlang führt der Weg durch eine malerische Landschaft bis zum Hafen. Hier heißt es: Tirolesa oder Flussdurchwaten. Wir kennen das Wasser des Rio Tunel bereits und entscheiden uns angesichts der Hitze an diesem Tag auch hier wieder für die Option Fluss. Diesmal ist das Wasser jedoch tiefer und die der Weg länger. Ich ziehe eine Grimasse vor Schmerzen, als ich aus dem Fluss steige. Und es muss noch einer überquert werden. Die armen tauben Zehen! Erst Stinkeschuhe und dann Gletscherwasser…
Letzte Rast, bevor es laut Trekkingführer in das nur 5 Kilometer entfernte El Chaltén gehen soll. Karte und Text passen irgendwie nicht zusammen und wir suchen uns einen Weg über Zäune und Weiden. Kaum aus dem Nationalpark heraus, trüben endlos lange Stacheldrahtzäune wieder das Bild von der patagonischen Freiheit, die ich in meinem Kopf hatte. Wir kommen an mehreren verendeten Kühen und an einem toten Kalb vorbei. Unzählige Knochen vom Vieh am Rand des Pfades. Die Sonne prasselt und der Weg nach El Chaltén will nicht enden.
Nach weiteren 3,5 h ohne Pause kommen wir völlig fertig in El Chaltén an. Die Dänen sind bereits da und haben die ersten Flaschen kühles Bier geleert. Wir folgen dem Beispiel und lassen den Abend bei Burger und Bier ausklingen.
Am nächsten Tag denke ich bereits, würde ich den Trek wieder machen.

Klingt spannend wie ein Krimi,Herzklopfen pur.
Und wieder traumhafte Aus-und Einblicke in eine faszinierende
einzigartige Landschaft.
Hab großen Dank,dass du uns an deinem Abenteuer so lebendig teilhaben lässt.